Uwe Ritzer/Roman Deininger, Die Spiele des Jahrhunderts. Olympia 1972, der Terror und das neue Deutschland

Es hatten heitere Spiele werden sollen: mit der Olympiade in München bot sich 1972 der Bundesrepublik die einzigartige Gelegenheit, der Welt den Gegenentwurf zur Olympiade der Nazis 1936 zu präsentieren: unbeschwerter sportlicher Wettstreit in einem modernen, demokratischen und weltoffenen Land. Doch der Traum und die Fröhlichkeit währten nur 11 Tage – dann überfiel ein palästinensisches Terrorkommando Mitglieder der israelischen Mannschaft in ihrem Quartier; die Attentäter erschossen zwei Sportler und brachten neun weitere in ihre Gewalt. Der Befreiungsversuch der überforderten deutschen Sicherheitskräfte Tage später endete in einer unbeschreiblichen Tragödie: die restlichen neun Israelis, ein deutscher Polizist sowie fünf der acht Terroristen starben. Uwe Ritzer und Roman Deininger erzählen in zahlreichen Einzelepisoden von diesen Tagen, die bis heute unauslöschlich im kollektiven Gedächtnis geblieben sind, aber auch von der Geschichte der modernen Olympischen Spiele; von Planungen und Rückschlägen, sportlichen Erfolgen und Niederlagen, von Rivalitäten und Freundschaften sowie von skurrilen und tragischen Begebenheiten. Sie portraitieren einzelne Persönlichkeiten und beleuchten die sportlichen und organisatorischen wie auch die dramatischen Ereignisse sowie sämtliche Folgen und Konsequenzen, die bis heute nachwirken. Und sie erzählen so spannend und lebendig, dass ich das Buch kaum aus der Hand legen konnte – unbedingte Leseempfehlung!

1911 entdeckte der Amerikaner Hiram Bingham die bis dahin hoch in den Anden verborgene Stadt Machu Picchu - eine Sensation! 2008 stieß ein Wissenschaftler in der Staatsbibliothek von Lima auf Dokumente, die belegen, dass der deutschstämmige Augusto R. Berns die geheimnisvolle Stadt in den Wolken bereits 35 Jahre vor Bingham fand – ein Rätsel! Wer war dieser Berns, der schon früh von Entdeckerruhm und Gold träumte, der Alexander von Humboldt verehrte und sich schließlich nach Peru aufmachte, um die sagenhafte goldene Stadt „El Dorado“ zu finden? Als Augusto Berns mit dem Amerikaner Harry Singer durch den Dschungel auf die Gipfel der Anden steigt, findet er zwar kein Gold, doch er gelangt an einen Ort, der seine kühnsten Erwartungen trotzdem übertrifft… Sabrina Janesch hat sich auf die Spur des Unternehmers, Abenteurers und Hochstaplers Berns gesetzt und erzählt in diesem Buch seine faszinierende Geschichte – abenteuerlich, phantastisch und doch wahr. Für mich ein Leseabenteuer der besonderen Art!

 

 

Die Demokratie ist ein kostbares Gut. Und wenn sie nicht immer wieder gelebt und neu erkämpft wird, kann sie ganz schnell verloren gehen: im Jahr 1933 dauerte es nur gut vier Wochen, bis die Weimarer Republik Geschichte war und Hitler mit seinen Helfershelfern die Diktatur etabliert hatte. So mancher hielt das Spektakel für kurzlebig und prophezeite ein schnelles Ende, um auf grausame Weise eines Besseren belehrt zu werden. Uwe Wittstock legt bei seiner Schilderung dieser dramatischen Zeitspanne den Focus auf die Literaten, von denen zahlreiche in diesen ersten Tagen fluchtartig das Land verließen, von Auslandsreisen nicht mehr zurückkehrten oder sich schließlich im Exil das Leben nahmen: Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin, Bert Brecht, Walter Mehring, Oskar Maria Graf, Ernst Toller – es ist die Crème de la Crème der deutschen Dichtung. Viele von ihnen sahen Deutschland nicht mehr wieder; andere wurden inhaftiert wie Egon Erwin Kisch und Carl von Ossietzky, oder sie wählten die innere Emigration und zogen sich zurück wie Erich Kästner. Eingebettet in das Tagesgeschehen und auf der Grundlage von teils unveröffentlichtem Archivmaterial listet Uwe Wittstock das Kalendarium einer bedrohlichen Atmosphäre voll unfassbarer Gewalt, Hetze und Angst; aber auch Mut und Entschlossenheit auf. Ein lesenswertes, wichtiges und in weitem Sinne aktuelles Buch, das meiner Meinung nach die dunklen Tage des Februar 1933 in großer Unmittelbarkeit nahebringt.


Im Januar 2020 begibt sich die Journalistin und inzwischen Erste Stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung, Christiane Hoffmann, auf eine besondere Wanderung: 75 Jahre nach Kriegsende und zwei Jahre nach dem Tod ihres Vaters geht sie zu Fuß den Weg seiner Flucht nach, die den damals Neunjährigen 1945, gemeinsam mit Mutter, Großeltern und Onkel, vom schlesischen Rosenthal, das heute Rózyna heißt und in Polen liegt, 550 km nach Westen führte. Aus Erinnerungen, Begegnungen und zahlreichen Gesprächen ist so ein sehr persönliches Buch entstanden, das Familiengeschichte und Fluchtschicksale aus der Vergangenheit erzählt und gleichzeitig die Auswirkungen beleuchtet, über die in zahlreichen Familien wenig gesprochen wurde, obwohl sie bis ins Heute reichen. Und wie durch seltsame Fügung erhält dieser Stoff nach mehr als einem Dreivierteljahrhundert Frieden in Europa, den man längst gesichert glaubte, durch die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine plötzlich beklemmend ungeahnte Brisanz, erscheint beim Lesen so manche Überlegung der Autorin wie eine dunkle Vorahnung des Kommenden. Ich finde: ein eindringliches Buch, das zeigt, wie sehr Krieg, Flucht und Vertreibung ewige Menschheitsthemen und -traumata bleiben - immer und überall.

Seine "Wimmelbilder" kennen und lieben Kleine und Große unverändert innig seit über 50 Jahren. Hier erzählt ihr "Erfinder" Ali Mitgutsch von seiner eigenen Kindheit in München, die gar nicht so idyllisch war, wie seine Zeichnungen es vermuten lassen. Doch Ali Mitgutsch, der eigentlich Alfons hieß, war eine außergewöhnliche Persönlichkeit; und ebenso beeindruckend sind seine Erinnerungen. "Herzanzünder" ist ein buntes Mosaik aus vielerlei traurigen und komischen Geschichten über die Schrecken des Krieges und die Geborgenheit in der Familie, über Ängste und Mut und über die heilende Kraft der Fantasie.

Anfang Januar 2022 ist Ali Mitgutsch im Alter von 86 Jahren in seiner Heimatstadt München gestorben, doch ich bin mir sicher: seine Bilder und darin er selbst leben weiter.

 

 

 Mit „Schwäne in Weiß und Gold“ legt die Autorin die Geschichte ihrer Familie vor, die auf den berühmten Staatsminister am Hof Augusts des Starken, Heinrich Graf von Brühl, zurückgeht. Es ist insgesamt eine Schilderung von Aufstieg und märchenhaftem Ruhm, aber auch von Niedergang, Krieg, Flucht und Verlust. All dies erzählt Christine von Brühl rund um einen Familienschatz der besonderen Art: das Brühlsche „Schwanenservice“ aus der Meißener Porzellanmanufaktur. Es wurde 1737 von Heinrich von Brühl in Auftrag gegeben und umfasste nach neueren Schätzungen rund 3000 Einzelteile. Im Verlaufe von Krieg und Flucht ging das meiste davon verloren, nur wenige hundert Stücke exis-tieren heute noch in privatem und öffentlichem Besitz im In- und Ausland. Etliche davon sind mittlerweile als Leihgaben der Familie Bestandteil der Dresdener Porzellansammlung - sie sind Abbild einer großen Lebenskultur, aber in ihrer Zerbrechlichkeit auch Symbol für das wechselvolle Schicksal ihrer Besitzer. Ein beeindruckendes Leseerlebnis!

 

Den einen ist sie unendlich wichtig, den anderen, im wahrsten Sinne des Wortes, Jacke wie Hose: Oscar Wilde jedenfalls nannte die Mode einmal „eine Form von Hässlichkeit, so unerträglich, dass wir sie sie alle sechs Monate ändern müssen“. In kleinen Erinnerungen und Geschichten erzählt Elke Heidenreich launig, humorvoll und nachdenklich nicht nur von modischen Verirrungen und Fehlkäufen, von edlen Stoffen und so manchem liebgewordenen, wenn auch abgetragenen Fummel, sondern auch von den Menschen, die dahinter – oder genauer: darin - stecken. In vielen von Heidenreichs Geschichten geht es um sie selbst, aber nicht ausschließlich. Denn sie öffnet für ihre Leserschaft auch Frida Kahlos Kleiderschrank und Coco Chanels Atelier, sie besucht mit ihr die Festspiele in Bayreuth und Salzburg ebenso wie den Kölner Karneval; sie erinnert an die Peinlichkeit, die ihr ein Papierkleid bereitete oder enthüllt, wie sie es sich endgültig mit Karl Lagerfeld verdarb. Ihre Protagonist(inn)en sind Frauen wie Männer, Prominente, Unbekannte, und nicht zu vergessen ein Trachtenjackentragendes Känguru… Schmunzelnd und hin und wieder leise nickend habe ich die Erzählungen gelesen - eine leichte Lektüre, die in schwierigen Zeiten in eine Welt der alltäglichen Nichtig-Wichtigkeiten zurückführt und den Lesern damit entspannende Leseminuten schenkt.

 

Roy und Betty haben sich über ein Datingportal im Internet kennengelernt – selbst für über Achtzig¬jährige heutzutage nichts Ungewöhnliches mehr. Beide verstehen sich aufs Beste, und so dauert es nicht lange, bis Roy in Bettys Landhaus einzieht. Doch der Leser erfährt bald, dass Roy nicht der ist, als der er sich Betty gegenüber präsentiert. Ganz im Gegenteil – er ist ein Krimineller, dessen Taten bis in die Kriegszeiten zurückreichen, wie in Rückblenden immer deutlicher wird. Auch jetzt, das wird bald klar, führt er nichts Gu-tes im Schilde. Ahnt die liebenswerte Betty wirklich nicht, dass Roy nur darauf aus ist, sie um ihr Vermögen zu bringen? Eine psychologisch feinsinnig konstruierte Geschichte, die mich bis zum überraschenden Schluss gefesselt hat und 2019 mit Helen Mirren und Ian McKellen erfolgreich verfilmt wurde.

ikans; die oft fremd und unverständlich scheint, aber auch außergewöhnlich und faszinierend ist.

 

Zu den Millionen Menschen, die während des Dritten Reiches in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet wurden, gehören auch etwa eine halbe Million Angehörige der Sinti und Roma aus ganz Europa. Zoni Weisz, der als Sinto in den Niederlanden aufwuchs, verlor als Siebenjähriger seine Eltern und die drei Geschwister. Nur der Hilfe mutiger Menschen und einer Reihe von unglaublichen Zufällen verdankt er es, dass er selbst der Deportation und damit dem sicheren Tod entging. Der Verlust seiner Familie belastete ihn jahrzehntelang schwer. Doch Zoni Weisz schaffte die Rückkehr ins Leben: er wurde ein erfolgreicher Florist, dessen Kreationen die Krönungsfeiern und Hochzeiten der niederländischen Königsfamilie ausschmückten, und er gründete eine Familie. Heute ist er Mitglied im Niederländischen und im Internationalen Auschwitz-Komitee und hielt 2011 am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus als erster Vertreter der Sinti und Roma eine Rede vor dem Deutschen Bundestag. Seine Erinnerungen schildern nicht nur eine bewegende Lebensgeschichte, sondern rufen auch einen oftmals vergessenen Teil des Holocaust wieder ins Bewusstsein. Schon deshalb halte ich dieses Buch für unbedingt lesenswert.

Als Papst Benedikt XVI. am 28. Februar 2013 seinen Rücktritt ankündigte, löste diese Entscheidung ein Erdbeben in der katholischen Welt aus. Ähnlich Überraschendes galt auch für die Wahl seines Nachfolgers – Jorge Maria Bergoglio, der sich als Papst Franziskus nannte. Der Argentinier ist der erste Nicht-Europäer auf dem Stuhl Petri, der erste Jesuit in diesem Amt; der erste mit dem Namen Franziskus und vor allem seit mehr als 700 Jahren der erste Papst, der neben einem noch lebenden emeritierten Pontifex amtiert – eine prekäre Situation. Kenntnisreich und anschaulich beleuchtet Anthony McCarten die Lebensgeschichten der beiden so unterschiedlichen Männer sowie die Hintergründe der Papstwahlen und bietet damit einen spannenden Einblick in die Welt des Vatikans; die oft fremd und unverständlich scheint, aber auch außergewöhnlich und faszinierend ist.


James Cook gehört zu den großen Entdeckern und Seefahrern der Weltgeschichte; der Bauernsohn aus Yorkshire erforschte und kartographierte Pazifik und Südsee und brachte es bis zum Admiral der englischen Flotte. Doch Anna Enquist stellt nicht ihn, sondern seine Frau Elizabeth, die zeitlebens hinter der Gestalt des großen Entdeckers im Schatten blieb, in den Mittelpunkt ihres Buches. Im Jahr 1775 wartet Elizabeth Cook in London sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Mannes von seiner zweiten großen Entdeckungsreise. Sie hofft, dass er nun, wie er es ihr versprochen hat, in England bei ihr und den Kindern bleibt. Doch es kommt anders - bereits ein Jahr später lässt sich Cook zu einer dritten Seereise in den Pazifik überreden, von der er nicht zurückkehren wird: 1779 wird er auf Hawaii von Eingeborenen erschlagen. Wie Elizabeth trotz Widerstands der Admiralität die unklaren Umstände seines Todes aufdeckt und wie sie ihr weiteres Leben alleine bewältigt, erzählt die Autorin bewegend und in einer ruhigen, überaus feinfühligen Sprache. Elizabeth Cook sollte ihren Mann um 56 Jahre überleben; ebenso wie die sechs gemeinsamen Kinder. Sie starb 1835 im ungewöhnlich hohen Alter von 94 Jahren. Anna Enquist erzählt von einem Leben voller Verzicht und Schicksalsschlägen, das gleichzeitig stille Größe birgt. Für mich eines der beeindruckendsten Leseerlebnisse der letzten Jahre!

Es muss ein idyllisches Sommerrefugium gewesen sein, das sich die jüdische Berliner Familie Alexander auf dem großen Gartengelände am Glienicker See errichtet hat, auch wenn es eigentlich nur ein Holzhaus war. Aber oft erweisen sich ja die als Übergang, Provisorium oder auf Zeit angelegten Projekte als die beständigeren. Für Elsie Alexander, die Großmutter des Autors, blieb das „Sommerhaus am See“ jedenfalls, trotz Verfolgung und Vertreibung durch die Nazis, ein stiller Sehnsuchtsort. Über die Jahrzehnte bot es nach den Alexanders weiteren Familien Zuflucht und blieb, trotz aller Zeitläufte, wie durch ein Wunder erhalten. Es überstand Krieg und Bombardierung, danach lag es auf dem Gebiet der DDR und die Mauer zog sich am Seeufer entlang, quer durch den Garten. Nach der Wende stand es leer und zerfiel immer mehr; am Ende drohte der Abriss. Thomas Harding, der heute in Großbritannien lebt, besuchte das Gelände und fasste nicht lange danach einen spontanen Entschluss. Bald fand er Helfer aus der Familie und der Nachbarschaft, die ihn bei seinem ungewöhnlichen Vorhaben tatkräftig unterstützten: er wollte das Haus erhalten und ihm seine Geschichte zurückgeben - deutsche Geschichte eines Jahrhunderts, die sich in den Hausbewohnern - Juden, Nazis, Flüchtlingen und DDR-Bürgern - spiegelt.

1939 überfällt Nazideutschland Polen und damit beginnt die Drangsalierung der polnischen und jüdischen Bevölkerung. Vor allem in Warschau werden die Juden im abgeriegelten Ghetto zusammengepfercht. Jan Żabiński, der Direktor des Warschauer Zoos, und seine Frau Antonina, sehen die Gräuel mit Entsetzen. Schnell ist ihnen klar, dass hier geholfen werden muss: immer wieder schmuggeln sie auf riskante Weise Juden aus dem Ghetto auf das Zoogelände und verstecken sie dort in leeren Tiergehegen. Das ist nicht ganz ungefährlich, denn die Nazis nutzen den Zoo für eigene Zwecke. Dennoch gelingt es den Żabińskis, auf diesem abenteuerlichen Weg mehr als 300 Menschen vor dem sicheren Tod zu bewahren. Eine Geschichte über Mut und Menschlichkeit, die mich umso tiefer berührt hat, weil sie auf wahren Ereignissen beruht.

Christopher Skaifes Job ist mehr als außergewöhnlich, denn es gibt ihn nur ein einziges Mal auf der Welt: Als Rabenmeister im Tower von London ist er verantwortlich für die Raben Ihrer Majestät, Queen Elizabeth‘ II. Schließlich besagt eine Legende, dass England untergehen wird, sobald die Raben aus dem Tower verschwinden. Über die Jahre hat er ein enges Verhältnis zu den Tieren aufgebaut und kennt ihre verschiedenen Charakterzüge genau.

Neben Geschichten und Geheimnissen aus dem Tower erfährt der Leser daher viel über außerordentlich kluge und hochsoziale Vögel, die in unserer Kultur zu Unrecht mit einem unglückbringenden, negativen Image behaftet sind.

Eigentlich hätte sie, nach zwei Mädchen, ein Junge sein sollen – und als diesen lässt der tief enttäuschte Vater sie im Juni 1925 entgegen jeglicher Vernunft auch ins Geburtsregister eintragen. Erst Tage später wird der Fehler korrigiert, nachdem die Mutter mit sofortigem Auszug gedroht hat. Ist es nur diese unerfüllte Erwartung, oder sind es andere Gründe, die Martina Mericault – „Tante Martl“ - ein Dasein am Rande der Familie, neben ihren Schwestern Bärbl und Rosa, zuweisen? Dass sie, die unverheiratet und kinderlos Gebliebene, stets etwas verschroben Wirkende letztlich die Emanzipiertere ist; dass sie sich zwar vom Elternhaus nie wirklich lösen kann, aber schon in den fünfziger Jahren ein selbstständigeres Leben führt als manch andere Frau; davon erzählt ihre Patentochter Ursula März hier liebevoll, empathisch und wohltuend unaufgeregt – für mich eine beeindruckende Hommage an eine nur scheinbar unscheinbare, besondere Frau.

Die „Spanische Grippe“ wütete weltweit zwischen 1917 und 1919 und forderte mit 50 bis 100 Millionen Toten vermutlich mehr Opfer als beide Weltkriege zusammen. Warum ist diese Pandemie, die als die „bösartigste je dokumentierte Influenzavariante“ gilt, heute weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden? Woher kam sie, wie verbreitete sie sich, und welche Folgen hatte sie? Laura Spinney schildert verständlich, umfassend und spannend Verlauf und Auswirkungen der Spanischen Grippe-Pandemie auf Gesellschaft, Politik und Kultur weltweit. Ursachen und Wirkungen, soviel wird klar, waren weitreichender, zahlreiche Faktoren bedeutsamer als bisher angenommen.

Die meisten Schilderungen habe ich – im Jahr 2021 - als geradezu bedrückend aktuell empfunden. Doch hat die Welt aus dem Geschehen gelernt? Die Autorin zeigt sich überzeugt: „Irgendwann wird ganz sicher wieder eine Pandemie ausbrechen, doch dann wird es von der aktuellen Weltlage abhängen, ob ihr zehn Millionen oder hundert Millionen Menschen zum Opfer fallen werden.“ Und: „Fraglich ist nur noch, wann der Zeitpunkt, wie heftig der Verlauf sein wird und wie wir uns optimal darauf vorbereiten…“. Geschrieben 2017! Nur zwei Jahre später tauchte in China ein neuartiges Virus auf – und wieder befand sich „die Welt im Fieber“…

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