Zeugnis ablegen um der Gerechtigkeit willen

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Ausstellung zum Holocaust-Gedenktag in der NBS – Edith Erbrich aus Langen berichtete von ihrer Deportation ins KZ Theresienstadt

Das Grauen kam den Zuhörern ganz nahe. Edith Erbrich berichtete vom Transport in einem Viehwaggon, in den sie zusammen mit 40 Männern, Frauen und Kindern gepfercht worden war, am „schmerzlichsten Tag in meinem Leben“, als sie kurz vor der Abfahrt noch einmal hochgehoben werden durfte, weil ihre Mutter sie noch einmal sehen wollte; fünf Tage Fahrt ohne ausreichende Versorgung; ihre Notdurft mussten die gequälten Menschen in einer Ecke des Waggons verrichten. Dann die Ankunft in Theresienstadt, die Trennung vom Vater, die demütigende Prozedur, als ihr die hüftlangen Haare abrasiert wurden; der tägliche Hunger, die Angst; die Ohnmacht und das Nicht-begreifen-können, als sie zur Strafe den Boden mit einer Zahnbürste schrubben muss. Und schließlich die Befreiung durch die Rote Armee, eine Tag vor dem Datum, das die Nazis schon für ihren Weitertransport und die Ermordung in Auschwitz vorgesehen hatten. Ein Schicksal, das viele Kinder in Theresienstadt erleiden mussten.

Denn auch Edith Erbrich war noch ein Kind, sieben Jahre alt, ein echtes „Frankforder Meedsche“, als sie am 14. Februar 1945, knapp sechs Wochen, bevor die Amerikaner Frankfurt einnahmen, zusammen mit ihrem jüdischen Vater, ihrer drei Jahre älteren Schwester und ihrem Cousin ins KZ Theresienstadt deportiert wurde, ohne die katholische Mutter, die sich trotz Beugehaft geweigert hatte, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Als Zeitzeugin begleitet die heute 80 Jahre alte, lebenslustige Dame seit vielen Jahren die Ausstellung „Kinder im KZ Theresienstadt“ des „Studienkreises Deutscher Widerstand“. Vor tausenden von Schülern hat sie Zeugnis abgelegt, um das Gedenken aufrecht zu erhalten, um den Leugnern und Zweiflern entgegenzutreten, um denen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die nicht das Glück hatten zu überleben. Das tat sie am Freitag vergangener Woche auch in der Nell-Breuning-Schule, wo die Ausstellung eröffnet wurde, die Schule und Stadt anlässlich des Holocaust-Gedenktages zeigen.

Edith Erbrich, die seit mehr als 50 Jahren in Langen lebt, stand Rede und Antwort, und man hätte eine Stecknadel fallen hören können, wenn sie das Unfassbare in ihren klaren Worten beschrieb. Viele Jahre hatte sie die Vergangenheit ruhen lassen – so hatte es ihr der Vater immer wieder geraten. Doch nach ihrer Pensionierung 1997 beginnt Edith Erbrich zu erzählen und startet in einen neuen Lebensabschnitt. Seit 2001 tritt sie als Zeitzeugin in Schulen, Jugendzentren und Jugendbildungseinrichtungen auf. Bis jetzt hat sie in 150 Lehr- und Lernstätten vor gut 25.000 jungen Menschen gesprochen. Für ihr Engagement bekam sie 2007 das Bundesverdienstkreuz.

Moderiert wurde die von Schülern, Lehrern und interessierten Bürgern gut besuchte Geschichtsstunde der besonderen Art von Klaus-Joachim Rink, Enkel des von den Nazis verfolgten Urberacher SPD-Landtagsabgeordneten und Gewerkschafters Aloys Georg Rink und Mitglied im „Studienkreis Deutscher Widerstand“, auf dessen Initiative hin die Ausstellung in Rödermark zustande kam. Zur Eröffnung, die von den beiden Oberstufenschülerinnen Adriana Willmutz (Flügel) und Nadine Matthias (Querflöte) musikalisch begleitet wurde, begrüßten Oberstufenleiterin Barbara Kühnl und Bürgermeister Roland Kern die Gäste. Kern betonte die „überlebenswichtige“ Bedeutung des Erinnerns und Mahnens, gerade angesichts aktueller politischer Entwicklungen, angesichts von Äußerungen in aller Öffentlichkeit, „die man noch vor wenigen Jahren gar nicht für möglich gehalten hätte“. Kern wies darauf hin, dass auch zwei ehemalige jüdische Mitbürger aus Urberach nach Theresienstadt deportiert und umgebracht wurden, nämlich Aaron Strauß und Hermann Adler, an die seit 2015 Stolpersteine in Urberach erinnern.

Die Ausstellung erinnert auf 15 Tafeln an das Schicksal der etwa 11.000 nach Theresienstadt deportierten Kinder. Sie kamen aus den jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren, aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Polen und Dänemark; die meisten wurden in Auschwitz ermordet. Im Mittelpunkt stehen in Theresienstadt angefertigte Kinderzeichnungen, Gedichte und Aussagen von Kindern über ihr Leben im KZ. Die Leitgedanken (Überschriften) dieser Tafeln sind den Gedichten und Texten entnommen.

Zwei Tafeln beschäftigen sich mit den Orten Theresienstadt und Auschwitz. Elf Tafeln sind mit originalgetreuen Reproduktionen von 33 Zeichnungen, 9 aus dem Tschechischen übersetzten Gedichten und Texten von zehn Überlebenden, unter ihnen Gerhard L. Durlacher, Ruth Klüger, Paul Aron Sandfort, Jehuda Bacon und Hella Wertheim, gestaltet. Die letzte Tafel ist dem Gedenken aller Kinder gewidmet, die Theresienstadt erleiden mussten: „Sie kamen auch aus unserer Nachbarschaft." Zumindest die aus Deutschland deportierten und ermordeten Kinder werden hier mit ihren Namen, Lebensdaten und den Orten, aus denen sie abtransportiert wurden, genannt.

Die Ausstellung ist noch bis zum 7. Februar montags bis freitags von 8 bis 16 Uhr im Nell-Breuning-Saal der NBS zu sehen. Dazu muss man sich im Sekretariat anmelden.

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