„Ich denke, es ist gut und richtig, dass uns der Weltfrauentag immer wieder die Bedeutung des Themas ‚Gleichstellung der Geschlechter‘ in Erinnerung ruft. Der Kampf für gerechte Lebensbedingungen auf Augenhöhe ist alt – doch jung und aktuell sind gleichsam die Forderungen, die damit einhergehen.“ Das betonte Bürgermeister Jörg Rotter, als er am 8. März auf den Rödermärker Beitrag zu eben diesem Aktionstag einstimmte.
Im Obergeschoss der Stadtbücherei hatten der Deutsch-Türkische Freundschaftsverein (DTF) und Isabel Martiner, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadtverwaltung, ein interessantes Programm vorbereitet. Im vollbesetzten Rothaha-Saal begrüßte Rotter die Gäste. Er rief Stichworte wie Selbstbestimmung, Chancengleichheit, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Parole „gerechte Bezahlung“ in Erinnerung: Zentrale Forderungen, die seit über 100 Jahren den internationalen Kampf für Geschlechter-Parität prägen.
Der Bürgermeister bilanzierte: „Wer wollte bestreiten, dass es hierzulande Fortschritte auf all diesen Themenfeldern gegeben hat? Gleichwohl kann der lange und steinige Weg nicht einfach abgehakt werden. Weitere Etappen stehen an. Die gesellschaftspolitische Herausforderung – sie bleibt.“
Ähnlich urteilte Seda Basay-Yildiz, die als Referentin des Abends ans Rednerpult trat. Die Juristin, die als Anwältin der Nebenklage für die Familie des Mordopfers Enver Simsek (getötet von Mitgliedern der Terrorgruppe NSU) im Einsatz war und damit bundesweit bekannt wurde, berichtete über ihre Kinder- und Jugendzeit in Marburg. Immer wieder sei sie von „starken Frauen“ und ihrem liberal und tolerant gesinnten Elternhaus ermutigt worden, geradlinig ihren Weg zu gehen und zivilgesellschaftliches Engagement zu entwickeln. Für sie, eine junge Frau mit türkischen Familienwurzeln, seien solche Impulse prägend gewesen.
Schon im Alter von zwölf Jahren sei „eine kleine Anwältin“ in ihr lebendig geworden. Ein tief ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit habe sich entwickelt. Just diese Triebfeder spüre sie auch, wenn sie die soziale Situation von Frauen vor Augen habe. „Wir sind immer noch nicht gleichberechtigt. Nach so vielen Kämpfen, nach so langer Zeit… Das macht mich sprachlos“, erklärte Basay-Yildiz.
Abgerundet wurde die Veranstaltung mit der Präsentation des Films „Mustang“. Das preisgekrönte Drama erzählt von einem Geschwister-Quintett, das in der türkischen Provinz an den dortigen Konventionen verzweifelt. Männer-Dominanz, Zwangsehen, Unterdrückung, psychische und physische Gewalt… Gegen all diese Phänomene lehnt sich die jüngste der fünf Schwestern am entschiedensten auf. Am Ende gelingt ihr ein Ausbruch aus den althergebrachten Strukturen: Eine Flucht, die die Möglichkeit des Wandels zumindest aufscheinen lässt.
So verdeutlichte „Mustang“ am Weltfrauentag, dass der Begriff „Emanzipation“ im internationalen Kontext sehr unterschiedlich zu betrachten ist. Nachdenklich gestimmt, mit einer bitteren und zugleich hoffnungsfrohen Botschaft, die der Film verströmt: So, im Spagat der Gefühle, wurde das Publikum nach der facettenreichen Zusammenkunft im Bücherturm auf den Nachhauseweg geschickt.
Foto, von links nach rechts: Isabel Martiner, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Stadtverwaltung, der DTF-Vorsitzende Selahattin Karademir und Seda Basay-Yildiz, die Referentin des Abends, während der Rödermärker Informations- und Festveranstaltung anlässlich des Weltfrauentages 2023.