Theaterstück machte Premierengäste betroffen

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Schülertheater über Jugendliche in Ghetto und KZ – Brücken zwischen dem Vergangenen und dem Jetzt

Leise war es, eine Stecknadel hätte man fallen hören bei der Premiere der szenischen Collage „Aber es ist doch für immer passiert...“. Elf junge Menschen spielen darin in kurzen Szenen Situationen von Jugendlichen in Ghetto und KZ nach, darunter auch die in Ober-Roden geborene Rosel Hecht oder Anne Frank. Elf junge Menschen hatten den Spagat zwischen der für sie nur schwer fassbaren Vergangenheit und ihrer eigenen Wirklichkeit gewagt und ihn meisterlich geschafft, dank der einfühlsamen und doch drastischen Texte, die die Jugendlichen zusammen mit Theatermann Oliver Nedelmann erarbeitet hatten. Zur Premiere war die Kelterscheune voll bis auf den allerletzten Platz; die Stille im Raum verriet, wie sehr das Stück die Besucher fesselte und wie sehr jeder Zuhörer betroffen war.

Seit September 2019 hatten sich die elf Schülerinnen und Schüler der Nell-Breuning-Schule Rödermark, der Ricarda-Huch-Schule Dreieich, des Adolf-Reichwein-Gymnasiums Heusenstamm und der Claus-von-Stauffenberg-Schule Rodgau unter der Leitung von Oliver Nedelmann mit dem Thema und seiner szenischen Umsetzung befasst. Das Theaterstück entstand größtenteils durch Improvisation. Die Jugendlichen sollten ihre Vorstellungen, ihre Ideen und Fragen in den Produktionsprozess einbringen. So wurde es „ihr“ Stück. Welche Fragen bewegen die Jugendlichen? Wie nähern sich Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 18 Jahren diesem Thema an? In „Aber es ist doch für immer passiert“ stehen also nicht die historischen Fakten, sondern die Gedanken und Gefühle der Jugendlichen im Mittelpunkt. Hier werden Brücken zwischen dem Vergangenen und dem Jetzt geschlagen. Darum finden sich in diesem Theaterstück nicht nur Momente des Schreckens, sondern auch der Hoffnung und des Zusammenhalts.

Nach dem ungewohnt langen Schlussapplaus blieb es erst einmal dunkel in der Kelterscheune, und niemand drängte wie üblich durch die engen Reihen zum Ausgang. Es hatte wohl niemand ans Licht gedacht, bis Friederike Nedelmann aufstand und den Raum erhellte. Doch diese Dunkelheit tat gut und war nötig; Schauspieler wie Zuschauer mussten erst einmal durchatmen. Auch den jungen Mimen fiel es sichtlich schwer, sich aus ihrer Rolle heraus wieder im Publikum unter Freunde und Verwandte zu mischen. Hörbar Luft pustend und mit hochroten Wangen kamen sie die Stufen zwischen der grausamen Spielwelt und der Wirklichkeit herunter. Nur langsam und sehr ruhig kamen die Besucher miteinander ins Gespräch. Ellen und Willi Böllert etwa, die sich erinnerten: „Ich war 1945 elf Jahre alt. Etwa zwei Jahre vorher war die jüdische Familie, die zwei Häuser weiter wohnte, plötzlich nicht mehr da, und ich glaube, es wusste spontan wirklich keiner, wo sie waren – kein Möbelwagen und nichts“. Und die beide stellten fest: „Wir finden es ungeheuer mutig von diesen jungen Leuten, nach einem eigenen Besuch im KZ dies nun zu spielen. Wir glauben, dass sie durch dieses Stück mehr dazu gelernt haben als auf allen anderen Wegen.“

Pfarrer Carsten Fleckenstein hat schon beruflich viel mit dem Thema und den Reaktionen darauf zu tun; außerdem hat der aktuelle Gemeindebrief den Theologen und Märtyrer Bonhoeffer im Mittelpunkt. Ihn quält immer „die Grundfrage: wie konnten sich Menschen für so etwas hergeben und wie konnte so etwas passieren.“

AZ-Chef Lothar Rickert fiel es schwer, direkt nach diesem Stück aufs Umbauen der Halle und Umstellen der Stühle umzuschalten (am Tag danach trat als Kontrapunkt die Band „Gypsys“ in der Scheune auf). „Das war sehr ergreifend und berührend und die Umsetzung war sehr gut gemacht, bis hin zu dem Satz eines Schülers: ‚Ich finde es gut, dass wir in der Schule gezwungen wurden, uns mit diesem Thema zu beschäftigen‘.“

Bürgermeister Jörg Rotter zeigte sich stolz auf diese Form der Umsetzung eines so wichtigen Themas und dankt dafür allen Beteiligten. Er freute sich, dass dieses Stück nun auch in anderen Kommunen in den Schulen präsentiert wird.

Christiane Murmann, Organisatorin im Vorbereitungsteam des Stückes und Mitinitiatorin der Rödermärker „Stolpersteine“, betonte nach ihrer hautnahen Erfahrung mit den Schülern, wie erstaunlich reif diese sich in ihrem jungen Alter mit dem Thema beschäftigt hätten. „Es geht immer darum, Bezugspunkte zu finden: Wie wird man zum Opfer? Wie wird man zum Täter? Wie fühlt man sich als Opfer? Wie fühlt man sich als Täter? Das hier ist nicht so ein Betroffenheitsding, sondern es darf auch ruhig dabei mal geschmunzelt oder gelacht werden, aber dann bleibt einem dieses Lachen auch wieder im Halse stecken.“ Oliver Nedelmann war auf seine Art hochzufrieden mit dem Abend: „Es lief nicht alles völlig reibungslos, aber es war zu spüren, dass jeder der Zuschauer im Innersten offenbar berührt wurde und jeder der Akteure seine Rolle voll gelebt hat. Diese jungen Menschen, gerade mal um die 17 Jahre alt, sind nach dieser Premiere mit einer – wie ich finde – zufriedenen Entschlossenheit von der Bühne gekommen“ – was sie auch brauchen, denn nach den nächsten Vorstellungen in der NBS und im Wohnzimmertheater werden sie noch an verschiedenen Schulen in der Region auftreten.

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