Als die Bilder laufen lernten, als Charlie Chaplin und Buster Keaton zu Stars der Stummfilm-Szene avancierten, als große Gefühle mit imposanter Gestik und Mimik auf die Leinwand gebracht wurden… Ja, damals entstand die Tradition des Wanderkinos. Mobile Filmvorführer zogen von Ort zu Ort und sorgten dort beim schaulustigen Volk für Staunen und Begeisterung. Wie schön, dass sich heute, gut 100 Jahre später, inmitten der von Video-Clips und Streaming-Diensten dominierten Gegenwart noch immer ein Hauch von derartiger Nostalgie aufspüren lässt. Der Rödermärker Kultursommer des Jahres 2022, der mit Unterstützung der Stadt bis Mitte September auf diversen Freiluftbühnen in Szene gesetzt wird, bot Gelegenheit für eben solch eine Begegnung mit den Pionieren der Filmgeschichte. Im Dinjerhof an der Pfarrgasse ratterte der Projektor, dort wurden tragisch-komische Geschichten in Schwarz-Weiß-Optik von mehr als 100 Besuchern eifrig belacht und beklatscht.
Die beiden Musiker Tobias Rank (Piano) und Sebastian Pank (Saxofon, Bass-Klarinette) haben die Zeitreise zurück in die Cinema-Kindertage möglich gemacht. Mit Live-Musik wurde die Handlung von anno dazumal stimmig unterlegt. Auf diese rar gewordene Nische in Sachen „Film-Präsentation“ hat sich das Duo aus Leipzig spezialisiert. Ein bulliger Feuerwehr-Oldtimer der Marke Magirus-Deutz (Baujahr 1969) dient als Transportmittel für das gesamte Equipment. So, auf dieser sommerlichen Tingeltour mit 60 bis 80 Stationen pro Saison, ist das Projekt nun schon seit über 20 Jahren im In- und Ausland unterwegs. 2015 wurde erstmals im Park am Entenweiher Station in Rödermark gemacht. Jetzt gelang es Wilhelm Schöneberger und seinen Dinjerhof-Freunden, das Wanderkino erneut in die Stadt zu lotsen – und abermals war die Resonanz überaus positiv.
„Super, die farblich illuminierte Kulisse hier auf dem Pflaster zwischen den Fachwerkgebäuden. Das passt wunderbar zu dieser Retro-Veranstaltung.“ So bekamen es Schöneberger und seine Mitstreiter von vielen Besuchern zu hören. Apropos „retro“: Wie sich die Sehgewohnheiten im Laufe eines Jahrhunderts verändert haben, wie die Bildsprache von einst über weite Strecken skurril anmutet und doch in manchen Momenten auch sehr viel Tragik oder gar Gesellschaftskritik aufschimmern lässt… Das zeigte sich beim Betrachten der fünf Kurzfilme, die für die Vorstellung ausgewählt worden waren, darunter „Ein Hundeleben“ mit Altmeister Chaplin aus dem Jahr 1918.
Der Wunsch nach einer kurzen Zugabe ist beim Wanderkino natürlich schnell formuliert. Doch in Windeseile lässt sich der Projektor nicht mit einer Filmrolle im Mini-Format bestücken. So blieb es zu mitternächtlicher Stunde beim wohlverdienten Schlussapplaus für das Tandem Rank/Pank - und bei der Hoffnung auf ein Wiedersehen in nicht allzu ferner Zukunft. Der Charme, den die Aufmachung verströmt, ist unverkennbar: Das Wanderkino, ein Erlebnis der besonderen Art.