Warum wackeln die liberalen Demokratien westlicher Prägung nach Jahrzehnten mit permanenter Krisenkulisse und ideologischer Überfrachtung? Was kann getan werden, um die Auswirkungen von Neoliberalismus und Globalisierung, von multiplen Finanz- und Wirtschaftskrisen sowie Massenzuwanderung im Zuge von Kriegs- und Armutsmigration abzufedern? Ist gesellschaftliche Beruhigung noch möglich? Oder gehört die Zukunft unweigerlich autoritären Bewegungen, die sich als Garanten radikaler „Heilung“ inszenieren?
Mit all diesen brisanten Fragen hat sich das 11. Nell-Breuning-Symposium in Rödermark beschäftigt. An zwei Nachmittagen referierten renommierte Politikwissenschaftler und Soziologen in der Kulturhalle vor interessierten Oberstufenschülern, die mit Nachfragen nicht geizten und sich am Mikro gut informiert und debattenfreudig präsentierten. So wie auch weitere interessierte Zuhörer jenseits der Schullandschaft, die gekommen waren, um sich Denkanstöße zu holen in Anbetracht einer ernsten gesamtgesellschaftlichen Situation.
„Es bleiben harte Zeiten. Es wird nicht unbedingt schöner werden in den nächsten Jahren“: Mit diesem Ausblick machte die wohl prominenteste Referentin der Veranstaltung deutlich, dass mehr Zivilcourage und mehr Dialogbereitschaft über die politischen Lager hinweg ihrer Meinung nach dringend erforderlich sind, um dem Phänomen der zunehmenden Polarisierung und Verrohung entgegenzuwirken. Deutlich zu spüren: Professor Dr. Nicole Deitelhoff von der Goethe-Universität in Frankfurt, bekannt durch eine Vielzahl von Auftritten in TV-Diskussionsrunden, wollte ihr vornehmlich junges Publikum nicht hoffnungslos und deprimiert ins Wochenende schicken.
Also klang ihr Appell am Ende des Einführungsreferats wie folgt: Nicht resignieren vor den Problembergen unserer Zeit, sondern sich einmischen, konstruktiv streiten und beharrlich Lösungsansätze auf den Weg bringen – zu diesem Ansatz gebe es letztendlich keine vernünftige Alternative. Deitelhoffs Mahnung an die Adresse der Regierungen auf Bundes- und Länderebene: „Die Kommunen dürfen nicht länger totgespart werden!“ Denn sie, die Städte und Gemeinden mit ihrer unverzichtbaren Infrastruktur für den Alltag der Menschen, seien schließlich die Keimzellen und Herzkammern der demokratischen Gesellschaft.
Ähnlich schonungslos offen in der Analyse und idealistisch-bemüht beim Blick nach vorn zeigten sich auch vier weitere Gäste aus der Welt der Sozialwissenschaften, die den Weg zum Symposium gefunden hatten. Der Aufstieg rechtsnationaler Kräfte wurde in unterschiedlichen Sphären beleuchtet, im Zusammenhang mit der Asyl- und EU-Politik, im Bereich der medialen (Selbst-)Inszenierung, auch über die europäischen Grenzen hinaus.
Präsident Donald Trump und sein Machtapparat in den USA, die PiS-Partei in Polen, Ministerpräsident Viktor Orbán in Ungarn und seine Kollegin Giorgia Meloni in Italien: „Gibt’s ein Kochrezept für die Autokratie?“, wurde in einer der kurzen Nachklapp-Runden nach den Vorträgen zugespitzt gefragt.
An klaren Worten, die vor einem forcierten Abbau demokratischer Errungenschaften auf zentralen Feldern wie Gewaltenteilung, Justiz und Bildung warnten, herrschte auf dem Podium kein Mangel. Dr. Félix Krawatzek vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien in Berlin, gab zu bedenken: „Ab einem gewissen Punkt kriegen Sie Dinge, die beschnitten und abgebaut wurden, kaum oder gar nicht mehr korrigiert.“ Dr. Raphael Bossong, der in der deutschen Hauptstadt für die Stiftung Wissenschaft und Politik tätig ist, konstatierte mit Blick auf künftige Wahlen: „Es steht Spitz auf Knopf – und manchmal können tatsächlich ein paar tausend Stimmen den Ausschlag geben und somit für Entwicklungen auf Jahre hinaus entscheidend sein.“
Rödermarks Erste Stadträtin Andrea Schülner hatte den Startschuss für all die Gedanken und Formulierungen unter der Überschrift „Krise der liberalen Demokratie“ gegeben. Sie begrüßte die Gäste und freute sich über das abermalige Zustandekommen der von Kommune und NBS gemeinsam organisierten Traditionsveranstaltung. Das Engagement zweier Hauptsponsoren – Sparkasse Dieburg und Entega – habe die hochkarätige Besetzung ermöglicht, betonte Schülner. Für eine Stadt mit 30.000 Einwohnern sei eine derart herausragende Plattform unter intellektuellen Gesichtspunkten wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Geboten werde ein Format, das sonst eigentlich nur größere Metropolen zustande brächten.
Die jungen Erwachsenen mit Blickrichtung Abitur forderte die Erste Stadträtin auf, in der Unterrichts-Nachbetrachtung intensiv über das Gehörte zu sprechen. NBS-Leiterin Christine Döbert, ihre federführend für die Symposium-Planung zuständige Kollegin Stefanie Heinsohn und Oberstufenleiterin Barbara Kühnl machten deutlich, dass die Botschaft angekommen ist. Kühnl zitierte einen Leitspruch: „Demokratie ist kein Zustand, sondern eine fortwährende Aufgabe.“
Foto 1: Die wohl prominenteste Referentin beim 11. Nell-Breuning-Symposium: Prof. Dr. Nicole Deitelhoff war zu Gast in Rödermark.
Foto 2: Die Europa-Songgruppe der Nell-Breuning-Schule unter der Leitung von Dr. Hanne Grünsteudel und Dr. Dietmar Herdt eröffnete die zweitägige Veranstaltung in der Kulturhalle mit einem musikalischen Beitrag.






