80 Jahre sind vergangen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Das Militär des NS-Regimes kapitulierte am 8. Mai 1945, nachdem dessen Terrorherrschaft einen Flächenbrand mit rund 60 Millionen Kriegstoten entfacht hatte. Der diesjährige Gedenktag wurde in Rödermark genutzt, um die Anfänge der verhängnisvollen Entwicklung ins Gedächtnis zu rufen, frei nach dem Motto: 1933, nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, brannten zuerst die Bücher.
Oberstufenschüler der Nell-Breuning-Schule (NBS) brachten markante Zeilen aus Werken zu Gehör, die seinerzeit als „undeutsch“ gebrandmarkt und im Rahmen öffentlicher Kundgebungen auf den Scheiterhaufen geworfen wurden. Erich Kästner, Hans Fallada, Stefan Zweig, Bertolt Brecht, Ernest Hemingway… Vor dem Eingangsbereich der Stadtbücherei wurde zum zweiten Mal nach 2024 im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung von Bibliothek und Schule an Schriftsteller erinnert, deren Texte einst zu Kohlenstaub mutierten.
Mit Ernst, Einfühlungsvermögen und dem Willen, ein Stück Erinnerungskultur hör- und sichtbar zu machen, agierten die jungen Frauen und Männer. Ihre Lesung hatten sie gemeinsam mit dem Deutsch- und Geschichtslehrer Andreas Zies vorbereitet. Bürgermeister Jörg Rotter, die Erste Stadträtin Andrea Schülner und Ehrenbürgermeister Roland Kern gesellten sich hinzu. Auch sie traten ans Mikrofon und präsentierten kurze Textpassagen aus just jener Literaturszene, die von der Diktatur ausgemerzt wurde.
Todesstoß für den kritischen Geist, Auslöschung feinsinniger Erzählkraft: Passanten, die vor dem Bücherturm stehen blieben und aufmerksam zuhörten, konnten die Dimension und Dramatik der damaligen Ereignisse erahnen. Die liberale Zivilgesellschaft und das unzensierte Wort: Sie wurden quasi über Nacht liquidiert. Sie gingen unter im Schein der Flammen, die in vielen Städten loderten. Der „Tag des freien Buches“, in den auch die Veranstaltung im Ober-Röder Ortskern eingebettet war, soll mahnen und für Wachsamkeit in der Gegenwart sensibilisieren.
Der Saxophonist Reinhold Franz umrahmte die gut einstündige Collage von Textauszügen mit musikalischen Einlagen. Der Bürgermeister hatte sich Hemingway („In einem andern Land“) für seinen Lesepart ausgewählt – und er fügte sehr persönliche Anmerkungen hinzu. Rotter erinnerte sich an Worte seiner Großmutter. Worte, die sie ihm kurz vor ihrem Tod gleichsam als Vermächtnis mit auf den Lebensweg gegeben habe. Nie vergessen, welch grausame Folgen Gewaltherrschaft und Krieg haben: So hätten sich Lebensweisheit, Bitte und Ratschlag auf einen Satz verdichtet.
Uns so schloss sich mit dieser berührenden Anmerkung des Verwaltungschefs auch der thematische Kreis beim Stelldichein der Schülerinnen und Schüler. Vor 92 Jahren brannten Bücher. Zwölf Jahre später lagen ein ganzer Kontinent und andere Teile des Erdballs in Schutt und Asche.