Erinnerungsarbeit mit Mörtel und Kelle

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Dritter Besuch in Rödermark: Der Künstler Gunter Demnig hat vier weitere Stolpersteine für Opfer des NS-Terrors verlegt

Beleidigt, gedemütigt, verfolgt, gequält und millionenfach ermordet wurden während der NS-Diktatur Menschen, die nicht ins Weltbild der Faschisten passten. Juden, Homosexuelle, politisch Missliebige, kreative Freigeister… In die Fänge der brutalen Machthaber und ihrer Helfershelfer gerieten außerdem Kinder und Erwachsene mit psychischen Handicaps: „Unwertes Leben“ aus Sicht der Nationalsozialisten, die auch in den Ursprungsgemeinden der heutigen Stadt Rödermark dafür sorgten, dass die Namen solcher Menschen auf Todeslisten landeten.

An Johann Eugen Groh und Franz Schwarzkopf aus Urberach sowie Barbara Hirschochs und Anna Schallmayer aus Ober-Roden, die zur Gruppe der Getöteten im Zuge der sogenannten „Euthanasie“ zählten, erinnern seit voriger Woche vier Stolpersteine. Die mit Messingplättchen beschlagenen Pflasterquader wurden just dort verlegt, wo eben diese Menschen einst ihr Zuhause hatten. Der Künstler Gunter Demnig, der seit fast 30 Jahren solche Schrifttäfelchen zum Gedenken und zur Mahnung in Gehwege und Plätze einfügt, war zum dritten Mal nach 2013 und 2015 nach Rödermark gekommen, um dort mit Mörtel und Kelle zu hantieren.

Ein fünfter, bereits vorbereiteter Stein für Joseph Rupp aus Ober-Roden soll zu einem späteren Zeitpunkt platziert werden, sobald dessen einstige Wohnadresse zweifelsfrei ermittelt werden kann. Bürgermeister Jörg Rotter, der sich zum Start der Verlege-Aktion am Urberacher Ortsausgang Richtung Eppertshausen eingefunden hatte (dort, wo früher das Elternhaus von Johann Eugen Groh stand), lobte das Engagement aller Beteiligten.

Gunter Demnig, der ein einzigartiges Projekt mit mittlerweile über 120.000 Stolperstein-Verlegungen in über 30 Ländern angestoßen und vorangetrieben habe, gebühre Respekt für dieses Lebenswerk der besonderen Art – und für die Tatsache, dass er nun schon mehrfach nach Rödermark gekommen sei, um die dortigen Recherchen im Hinblick auf NS-Opfer plakativ zum Ausdruck zu bringen. Außerdem, so der Bürgermeister bei seiner kurzen Begegnung mit dem 78-jährigen Demnig, sei Klaus-Joachim Rink für seine intensiven, mehrjährigen Nachforschungen zu danken.

„Verfolgung und Repression während der NS-Gewaltherrschaft in Ober-Roden und Urberach – Widerstand in Rödermark 1933 bis 1945“: Diesen Titel trägt ein Buch, das der Magistrat und Rink im Jahr 2022 gemeinsam herausgegeben haben. Wer in den damaligen Gemeinden, die seit 1977 Rödermark bilden, ins Visier der Nazis geriet, wer sich wann und in welcher Form widersetzte, wer verschleppt, inhaftiert und ermordet wurde: Vielfältige Informationen dazu, basierend auf einem großen Personenregister, liefert das rund 250 Seiten zählende Werk. Es ist in der Kulturhalle zum Preis von 19,90 Euro erhältlich.

Im Kapitel, das dem Thema „Euthanasie“ gewidmet ist, wird an das Lebensende eben jener Menschen erinnert, für die nunmehr Stolpersteine verlegt wurden. Sie starben allesamt im Zuge der „Aktion T4" in der Tötungsanstalt im westhessischen Hadamar. Ihre Ermordung erfolgte mit Giftgas. 70.000 Menschen, so der aktuelle Stand der Forschung, sind in der NS-Zeit im damaligen Deutschen Reich in insgesamt sechs solcher Einrichtungen umgebracht worden.

Dass eine vielschichtige Erinnerungskultur das Wissen um die Verbrechen und das Andenken an die Opfer dieser dunklen Zeit wachhalte: Das, so Rotter beim Auftakt zu Demnigs jüngsten Verlegearbeiten, sei in Rödermark maßgeblich einer gut informierten, engagierten und sensiblen Zivilgesellschaft zu verdanken. Aktiv seien Menschen, die immer wieder nachhakten und auch den Anschub für neue, ergänzende Projekte lieferten. Beispielsweise im Hinblick auf die angestrebte Neugestaltung des Wilhelm-Weber-Platzes in Ober-Roden. Dort, auf der Fläche der kleinen Grünanlage an der Rilkestraße, solle künftig auch eine Stelle des Gedenkens für Leidtragende von Diktatur und Menschenverachtung einen würdigen Platz finden.

Der Dank des Bürgermeisters galt ferner Thomas Mörsdorf, dem Leiter des städtischen Fachbereichs für Kultur und Sport, sowie Markus Schröder, einem Mitarbeiter der Kommunalen Betriebe (KBR). Beide hatten gemeinsam just jene Stellen bestimmt, abgefahren und vorbereitet, die Demnig schließlich mit seinem Handwerkszeug ansteuerte.

Foto 1, von links: Buchautor Klaus-Joachim Rink, Markus Schröder (KBR), der Künstler Gunter Demnig und Bürgermeister Jörg Rotter beim Start der jüngsten Stolperstein-Verlegearbeiten in Rödermark.

Foto 2: Bürgermeister Jörg Rotter überreichte Gunter Demnig ein Exemplar des Gedenkbuches, das 2022 herausgegeben wurde und die zentralen Begriffe Verfolgung, Repression und Widerstand im Hinblick auf die NS-Diktatur in Ober-Roden und Urberach beleuchtet.

Foto 3: Gunter Demnig bei seinen Arbeiten an der Karlstraße in Urberach.

Foto: 4: An Johann Eugen Groh, der 1941 im Alter von 19 Jahren in Hadamar ermordet wurde, erinnert ein am Urberacher Ortsausgang Richtung Eppertshausen verlegter Stolperstein.

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