Die hohe Kunst des Papierschnitts

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Der Rödermärker Künstler Jürgen Wolff hat eines seiner international geschätzten Werke der Stadt als Leihgabe zur Verfügung gestellt

„E 22“ – so lautet der nüchterne Titel des Werks. Mathematisch nüchtern, könnte man sagen. Der Buchstabe steht für eine Werkreihe, die Zahl ordnet es chronologisch in diese Werkreihe ein. Mathematisch nüchtern ist auch die Basis dieser Kunst: sie beruht auf Algorithmen, also Rechenanweisungen. Das Wunder ereignet sich, wenn das Ergebnis der Rechenoperation visualisiert wird: Es entsteht ein Kunstwerk, ein Gebilde, das seine rein mathematischen Grundlagen nicht verleugnet, aber transzendiert. Die Spannung des Entstehungsprozesses scheint nach außen getragen: Das Werk erobert sich den Raum, es scheint zu vibrieren, es scheint sich zu bewegen, zu wölben und zu senken, dem Rahmen entfliehen zu wollen – der Blick des Betrachters kann es kaum festhalten. „E 22“ ist ein ebenso komplexer wie fantasievoll-anspielungsreicher Papierschnitt, den man seit dem vergangenen Freitag im Foyer der Kulturhalle bewundern kann. Es handelt sich um eine Arbeit des Rödermärker Künstlers Jürgen Wolff, dessen Werke inzwischen in zahlreichen öffentlichen und privaten Sammlungen in ganz Europa vertreten sind. Er hat „E 22“ der Stadt geliehen. Die Übergabe erfolgte im Rahmen einer Vernissage, bei der auch weitere Arbeiten des Künstlers gezeigt wurden.

Für die noble Geste bedankte sich Bürgermeister Jörg Rotter im Namen der Stadt ausdrücklich: „Wir fühlen uns geehrt, dass Sie uns ein Schlüsselwerk Ihrer Kunst als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen.“ Er würdigte Wolff als Künstler von Rang, der sich in den vergangenen Jahren einen Namen unter Galeristen und Kunstinteressierten mit seinen Arbeiten gemacht habe, die der Richtung der „konkreten“ oder „konstruktiven Kunst“ zugeordnet werden.

Seit seinen ersten Ausstellungen habe er sich immer intensiver mit der konkreten Kunst auseinandergesetzt, erläuterte Wolff seinen künstlerischen Werdegang. Eine Entwicklung, die noch nicht abgeschlossen sei. Wolff will immer wieder Neues entdecken, die Möglichkeiten ausloten, die ihm sein mathematischer Ansatz bietet. Für jedes Werk legt er einen neuen Algorithmus fest, ohne zu wissen, wie die Basis für das Kunstwerk dann aussieht. Für die Papierschnitte überträgt er das Zahlenmaterial mit Bleistift auf das Kartonpapier, dann kommt das Skalpell zum Einsatz, Schnitte entstehen und Seiten eines möglichen Körpers, die meist nach vorn oder nach hinten geklappt werden.

Eine zentrale Rolle dabei spiele das sogenannte Drachen-Viereck, so Wolff. „Seine Visualisierungen in unterschiedlichen Ausprägungen zeigen die Gedankenwelt des Jürgen Wolff auf. Nämlich nach dem Einfachen, Minimalistischen zu suchen, um die Komplexität, das Vielfältige zu verstehen.“ So beschreibt Wolffs Galerie in Zürich auf ihrer Website den Ansatz seiner Papierarbeiten, die einer Informationsästhetik verpflichtet seien. „Es entstehen Zeichnungen, Papierschnitte und Wandobjekte mit einer ‚Ästhetik im Verein mit Spielwitz‘, wie Eugen Gomringer es beschreibt.“ Eugen Gomringer ist der Begründer der konkreten Poesie und ein wichtiger Förderer und Sammler konkreter Kunst. Dass er ein Werk Wolffs für seine Sammlung erworben hat, darf als künstlerischer Ritterschlag verstanden werden.

Der gebürtige Urberacher Wolff zog, als es um den Berufswunsch ging, ein Studium im Vermessungswesen dem Kunststudium vor. Die Liebe zur Gestaltung und vornehmlich der Malerei blieb ihm jedoch immer erhalten. So machte er sich bereits in den 70er Jahren als Autodidakt mit dem Zeichnen von Symmetrien mittels Tuschezeichner (Rapidograph) vertraut. In diesen Jahren entstanden erste kolorierte Kartonzeichnungen.

2007 griff Jürgen Wolff die alten Techniken wieder auf und entwickelte sie dahingehend weiter, dass er sie in digitalisierte Form übertrug und mittels entsprechender Software veränderte: Die Gestaltungsmöglichkeiten und Spielräume moderner Techniken erlauben es dem Künstler, statische Grundelemente zu dynamischen und impulsiven Grafiken zu verfremden. Und eben zu Papierschnitten, die in jüngster Vergangenheit das Schaffen Wolffs dominieren.

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Im Gespräch vor dem spannenden Kunstwerk mit dem nüchternen Titel „E 22“: Jürgen Wolff (Mitte), Bürgermeister Jörg Rotter (rechts) und Thomas Mörsdorf, der Leiter der städtischen Kulturabteilung.
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