Blicke unter die Motorhaube der Künstlichen Intelligenz

|   Aktuelles

Gute Unterhaltung mit viel Erkenntnisgewinn: Professor Andreas Dengel macht sich am Hochschultag Gedanken, wie KI die Bildung verändern könnte

Laien eine Vorstellung davon geben, wie Künstliche Intelligenz funktioniert? Wie es sein kann, dass eine Maschine Sprache versteht, Texte schreibt und Bilder erkennt? Wie solch eine Maschine Bilder erzeugt? Für einen geborenen Didaktiker wie Andreas Dengel ein Leichtes. Er lädt seine Zuhörer ein, einen „Blick unter die Motorhaube“ zu werfen. Schnell wird mit ChatDPT, Bob Dylans gespeichertem Songoeuvre als Sprachmodell der Marke Eigenbau, ein neuer Dylan-Text gezaubert. Etwas seltsam, aber es wird deutlich, dass das Ganze ein Spiel der Wahrscheinlichkeiten ist. Für das Verständnis der Bilderkennung helfen dem Professor für Didaktik der Informatik an der Goethe-Uni in Frankfurt blaue Pinguin-Emojis und das Prinzip des Entscheidungsbaums. Check! Verstanden! Dann trainiert er mit seinem Finger und der Laptop-Kamera eine einfache Bilderkennungssoftware – eins, zwei oder drei? Bei der Frage, wie viele Finger er dann der Kamera zeigt, bringt er sein Programm ein wenig ins Grübeln. Doch sein Publikum in der Kulturhalle – Oberstufenschüler, Lehrkräfte, viele Bürgerinnen und Bürger – versteht das Prinzip. Selten dürfte es sich bei einem Rödermärker Hochschultag, den Stadt und Nell-Breuning-Schule seit Jahren gemeinsam veranstalten, so gut unterhalten haben und mit so viel Erkenntnisgewinn nach Hause gegangen sein, wie am vergangenen Montag. Entsprechend lautstark ist am Ende der Applaus für den jugendlichen Anfang-Dreißiger.

Künstliche Intelligenz – ein hochaktuelles Thema, auf dass die Menschen auf unterschiedliche Weise reagieren: mit Zuversicht, hoffnungsvoll, neugierig, optimistisch, ratlos, sprachlos, verständnislos, mit Ängsten, pessimistisch. Was mag da noch auf uns zukommen, denken sicher viele. Andreas Dengel gehört zur Fraktion der Optimisten. Schon von Berufs wegen. Vielleicht auch, weil er mehr über dieses Thema weiß als die meisten hierzulande. Doch die Künstliche Intelligenz an sich ist nicht sein Thema – weder an diesem Abend noch von Berufs wegen. Andreas Dengels Thema ist die Bildung, ist Schule. Er macht sich Gedanken darüber, wie Künstliche Intelligenz und digitale Welten Bildung und Schule befruchten können.

Seit 2021 leitet Dengel die Professur für Didaktik der Informatik in Frankfurt sowie das „Engaging Computer Science Education“ Labor (ECSE Lab), ein Klassenraum der Zukunft. Für seine Arbeiten wurde er mit diversen Forschungs- und Praxispreisen ausgezeichnet und auf Deutschlands „30-Under-30“-Liste des Magazins Forbes aufgenommen. Außerdem begleitet Dengel die Einführung des neuen Schulfachs „Digitale Welt“ in Hessen als universitärer Partner. Es verbindet grundlegende Kompetenzen der Informatik mit ökonomischer und ökologischer Bildung. Behandelt werden auch die Phänomene KI und Social Media. Das neue Fach soll noch in der laufenden Legislaturperiode den Weg in den Schulalltag finden.

Seinen Zuhörern in Rödermark bot Dengel spannende Einblicke in seine Forschungs-, Entwicklungs- und didaktische Erprobungsarbeit am Puls der Zeit. Mit seinem Team hat er Assistenten für die digitale Welt und Tools entwickelt, die den Unterricht revolutionieren werden. Dengel stellte einen „Businessbot“ vor, mit dem Schüler aus einer Start-up-Idee einen Business-Plan generieren können. Oder ein Tool, dass es erlaubt, sich in einer virtuellen Welt mit historischen Figuren unterhalten zu können. Oder die „Fake-News-Zeitung“, die er mit Fünftklässlern produziert hat. Oder auch eine Plattform, mit der Lehrkräfte Lesevorlagen an die Lesekompetenz jedes einzelnen Grundschülers ihrer Klasse anpassen können. Derzeit läuft in Hessen eine Testphase mit 1.000 Schülerinnen und Schülern.

Individuelles Lernen, individuelle Abschlüsse – Individualisierung ist ein Schlüsselbegriff in der didaktischen Zukunftswelt von Andreas Dengel. Weitere Stichworte: Projektarbeit in der Schule mit Unterstützung Künstlicher Intelligenz statt Hausarbeiten; das Prinzip des „flipped classroom“, des umgedrehten Klassenzimmers – kontrolliertes, unterstütztes Lernen in der Schule, Anwenden zuhause: „Das ist wie ‚helfende Eltern‘, nur in der Schule und für jeden!“

Dengel ist der Zukunft zugewandt, doch basiert sein Denken, Forschen und Lehren auf traditionellen Werten. Er hat für sich das japanische Modell des „Ikigai“ gefunden. Ikikgai ist frei übersetzt „das, wofür es sich zu leben lohnt“. Also: Seine Begabungen entdecken, die „Dinge, für die ich mich tatsächlich interessiere“, definieren und mit den „Dingen, die die Welt braucht“, verbinden. Idealerweise könne man damit auch noch Geld verdienen. Für die Schule heiße dies: Interessenorientierung, Begabungsorientierung, Werteorientierung und Berufsorientierung.

Künstliche Intelligenz werde das Denken übernehmen, und die Menschheit stehe vor der Frage, was ihr Sinn und ihre Aufgabe in einer solchen Welt sein könnte, so Dengel. „Ikigai – die Suche nach dem Grund des Seins – wird dabei zum Leitmotiv. In der ‚Ikigai-Schule‘ geht es um die Kunst, Mensch zu sein, unsere Potenziale zu entfalten und unseren Interessen nachzugehen.“ Die denkende Maschine werde dabei zum didaktischen Werkzeug, das dabei helfe, unseren Lebensweg zu finden. „Dieses Tool wird alles verändern. Es kommt darauf an, was wir daraus machen.“

In der Diskussionsrunde ging es unter anderem um den wegen KI explodierenden Energiebedarf für Rechenzentren, um Datenschutzfragen und auch Gefahren im Zusammenhang mit KI. Die verleugnete auch Dengel nicht. „Wir sind noch am Anfang dieser ganzen Entwicklung, können noch komplett frei ausprobieren, mit Texten, Musik und Bildern spielen. Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo wir Angst haben müssten. Aber der kommt!“ Was dann helfe? „Diese Systeme verstehen!“

Zurück
Mit einer dem Anlass entsprechenden aktualisierten Fassung ihres bekannten Songs begrüßte die Euopa-Songgruppe der NBS Prof. Andreas Dengel zum Hochschultag.
Back to Top