Sanft lächelnd präsentiert Adele Bellia das Lehrbuch, mit dem sie allwöchentlich im Gemeindezentrum St. Gallus in Urberach anzutreffen ist: Ehrenamtlich engagiert mit stolzen 84 Jahren, gleichsam als Brückenbauerin und charmante Botschafterin für den schönen Klang ihrer Muttersprache. Der Name ist Programm: „Allegro“ steht in der Welt der Musik als Tempo- und Charakter-Bezeichnung für „rasch, munter, heiter und fröhlich“. Und genauso geht es zu, wenn die lebenslustige Frau an jedem Montag zehn lernhungrige und dialogfreudige Gleichgesinnte um sich schart.
Dann wird der Italienisch-Unterricht sehr facettenreich zelebriert. Leseübungen, viel Konversation, mal eine Prise Grammatik… „Und hin und wieder ist auch Singen angesagt. An das bekannte Partisanenlied ‚Bella ciao‘ haben wir uns schon rangetraut, an den Celentano-Klassiker ‚Azzurro‘ ebenfalls“, verrät Ingeborg Metzger, die einst als Nachbarin von Adele Bellia den Anstoß für den Kurs geliefert hatte. „Ich habe Italien als wunderbares Reiseland sehr oft mit dem Fahrrad erkundet und wollte dort einfach stärker mit den Einheimischen ins Gespräch kommen.“ So entwickelte sich die Idee: „Adele, könntest du nicht mal…“
Und sie konnte und kann mit scheinbar nimmermüder Begeisterung. Unter dem Dach der Quartiersgruppe Urberach zeigt die seit 1970 in Deutschland beheimatete Sizilianerin exemplarisch, wie viel sich mit sozialem Einsatz auf unentgeltlicher Basis bewirken lässt. Gelebte Mitmenschlichkeit, Austausch, Vernetzung und Bereicherung unter ideellen Vorzeichen – das alles sind Begriffe, die sich um das Stichwort Ehrenamt ranken.
Der letzte Monat des Jahres liefert die dazu passenden Stichtage. Als „Internationaler Tag des Ehrenamts“ wurde einmal mehr der 5. Dezember ausgerufen – und in Rödermark gibt es in Kürze ein Jubiläum der besonderen Art. Zum 300. Mal wird Adele Bellia am 16. Dezember ihre Kurs-Teilnehmerinnen mit einem freundlichen „buona sera“ begrüßen und „Allegro“ aufschlagen. Im Mai 2013 begann der Unterricht in Urberach – eine lange Wegstrecke.
Lang, kurven- und ereignisreich: So lässt sich auch Bellias Biografie auf einen kurzen Nenner bringen. Ihre Eltern wanderten vor rund 100 Jahren nach Libyen aus. Sie wurde 1940 in Tripolis geboren, machte dort Abitur, arbeitete für eine Bank und lernte ihren Mann Settimo kennen. Nach dem Militärputsch 1969 und der Machtübernahme durch das Gaddafi-Regime konnte die Familie in der Bundesrepublik einen neuen Lebensabschnitt beginnen.
Während Settimo Bellia in Frankfurt in der Finanzbranche beschäftigt blieb, erlebte seine Ehefrau die Zäsur jener Zeit als Einstieg in sozial vielfältiges Engagement. „In Libyen waren wir gesellschaftlich nicht aktiv. Aber hier, in Deutschland, gab es plötzlich ganz andere Möglichkeiten“, erinnert sich die Mutter dreier Kinder, die sich schon bald in ganz unterschiedlichen Bereichen tummelte.
Für die „Missione Cattolica“ in Dreieich-Sprendlingen war sie über Jahrzehnte hinweg eine unverzichtbare, in vielerlei Hinsicht helfende Hand. Sie unterstützte die Arbeiterwohlfahrt im Rahmen des Rödermärker „Leuchtturm“-Projekts für demenzkranke Menschen, sie war für die Volkshochschule als Leiterin von Italienisch-Kursen in mehreren Kommunen im Kreis Offenbach tätig – und irgendwann gesellte sich die eingangs erwähnte Anfrage ihrer Nachbarin hinzu: noch eine Aufgabe, noch eine Herausforderung.
„Wenn ich so zurückblicke, bin ich selbst überrascht, was da im Laufe der Zeit alles zusammengekommen ist. Ich bin sehr zufrieden mit diesen vielen Dingen, habe alles gerne getan. Und es macht mir immer noch große Freude“, betont Adele Bellia.
Für Ute Schmidt, die das Ehrenamtsbüro der Stadt Rödermark leitet, schlagen solche Lebensgeschichten einen großen, bunten Bogen. Ihre Einschätzung: „Es ist phantastisch, dass sich Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Begabungen so gewinnbringend für die Allgemeinheit engagieren. Die Gemeinschaft profitiert ungemein von all diesen Aktivitäten – und unsere Quartiersgruppen sind ideale Plattformen dafür.“
Apropos „internationale Verständigung“: Während Adele Bellia in Urberach mit ihren Italienisch-Lektionen aufhorchen lässt, setzen Petra Wilde (Französisch) und Judith Bauer (Englisch) als Kursleiterinnen für die Initiative „Wir sind Breidert“ ein dickes Ausrufezeichen. Wer gerne dabei sein und mitlernen möchte, kann sich im Internet auf den Seiten www.quartier-urberach.de und www.wirsindbreidert.de näher informieren.