„Von oben“ und aus der „Froschperspektive“

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Ausstellung des Fotoclubs im Bücherturm eröffnet - 20 Künstler mit 42 Werken vertreten

Es war wie immer: Keine Ausstellung in Rödermarks Literatur- und Kunsttempel findet bei der Vernissage so viel Zuspruch wie die des Fotoclubs, mit der traditionell der Jahresreigen der Ausstellungen im Bücherturm beginnt. Zur offiziellen Eröffnung durch Bürgermeister Roland Kern mit musikalischen Intermezzi der Jazzclub-Größen Roland Ulatowski (Kontrabass) und Georg Hofbauer (Klavier) begrüßte der Fotoclub-Vorsitzende Rainer Steen am vergangenen Samstag die Gäste im bis auf den letzten Platz gefüllten Rothaha-Saal ein Stockwerk über den Ausstellungsräumen. Der Titel des Jahres 2019, „Von oben“, verrät, dass die Aufnahmen aus einer bestimmten Perspektive entstanden sind.

Es lohnt sich, die Welt einmal von oben zu betrachten – nicht nur aus großer Höhe von Hochhäusern oder von den Niagarafällen herab, sondern gerade auch auf Alltägliches wie etwa eine Wendeltreppe oder ein Straßencafé. Wer dazu noch Anregungen braucht, ist in den kommenden vier Wochen im Bücherturm willkommen. 20 Künstler sind mit 42 Werken vertreten, und anders als bisher stand die fotografische Vorbereitung für diese Ausstellung unter diesem einzigen Titel: „Von oben“. „Das wurde nicht sofort von allen Fotografen im Verein für gut befunden, aber schließlich sehen wir jetzt, was dabei herausgekommen ist“, freute sich Steen, der auf eine zweite Neuerung verwies: War seither die sogenannte Petersburger Hängung mit ihren vielen Formaten der künstlerische Ausreißer, während alle anderen Bilder das Format 40 mal 50 Zentimeter hatten, wurde nun ein kompletter Raum mit Bildern dieser Größe bestückt, und zwar ausschließlich in schwarzen Passepartouts. Im zweiten Raum sind Sonderformate aller Art zugelassen, größere gerahmte Bilder, Bilder auf Leinwand aufgezogen oder große Panoramen. Gezeigt werden „von oben“ unter anderem die Niagarafälle, Kapstadt, Tampere, Frankfurt, München, Ober-Roden sowie Aufnahmen aus Mallorca, der Bretagne oder der Normandie.

Das Motto der Ausstellung sei ein „gefundenes Fressen für einen Bürgermeister, der im weltlich-städtischen Gefüge ja von einer Ebene her spricht, die ‚obener‘ nicht geht“, meinte Bürgermeister Kern in seiner launigen Laudatio. „Früher hieß das sogar ‚Obrigkeit‘, zu Recht getilgt aus unserem demokratischen Wortschatz, aber – geben wir‘s zu – es ist noch etwas vorhanden von dieser vordemokratischen Zuordnung: ‚Das kommt von oben‘, ‚das kommt von ganz oben‘ – ‚häischer gäit`s nit!‘.

Aber so einfach will ich mir das nicht machen: Ihnen etwas zu sagen und davon auszugehen, dass Sie mir das abnehmen – denn es kommt ja ‚von oben‘. Ich denke, ich habe nur eine Chance, wenn ich Ihnen etwas ‚von unten‘ vortrage. Dazu habe ich mir erlaubt, was ich im Laufe meiner Amtszeit noch nie gewagt habe, nämlich: ein Bild zu einer Ausstellung mitzubringen, das von einer anderen Ausstellung stammt. Diese – andere – Ausstellung wurde vor acht Jahren ebenfalls hier im Bücherturm präsentiert; sie hieß: ‚Man(n) malt – Frau auch‘. Die Künstler waren Mitglieder des Dietzenbacher Künstlerkreises, und ein Werk hatte es mir besonders angetan. Ich musste es unbedingt haben, und ich habe es tatsächlich erworben. Es hängt seitdem in meinem Dienstzimmer – als Erinnerung an eine Zeit der Unreife, als Appell an Demut und Bescheidenheit. Es stammt von Wilfried Nürnberger, der damals mit seiner Frau Bozena Höhnova-Nürnberger hier ausgestellt hat.

Den Titel des Bildes kann ich noch nicht preisgeben. Ich muss dazu etwas ausholen. Es muss im Jahr 1963 gewesen sein. Ich war gerade 16 geworden, in der Untersekunda, und die Lehrer an der Goetheschule in Dieburg hatten die Anweisung, uns plötzlich zu siezen (ich weiß nicht, ob das heute noch so ist). Auf dem Lehrplan stand die ‚Mittelhochdeutsche Lautverschiebung‘. Ich – frisch gesiezt – war plötzlich mutig und stellte dem Deutschlehrer die Frage: ‚Ist es denn wirklich für unser weiteres Leben erforderlich, die Mittelhoch-deutsche Lautverschiebung durchzunehmen?‘ Eisiges Schweigen. Das hatte sich noch keiner getraut, einem Thema grundsätzlich seine Berechtigung als Lernstoff abzusprechen. Was würde jetzt kommen?

Es kam, in der lautesten Stimme, die der Deutschlehrer aus sich herausbringen konnte, der Satz: ‚Kern, Sie in Ihrer törichten Froschperspektive, Sie können das doch überhaupt nicht…‘ Ich war natürlich schwer getroffen. Der Unterricht wurde lehrplanmäßig fort-gesetzt. Das Thema hinterließ bei mir doch einen gewissen Eindruck. Ich war beschämt – und habe diesen Satz, diesen Vorhalt nie vergessen. 2010, also 47 Jahre später, musste ich deshalb unbedingt das Bild von Wilfried Nürnberger kaufen, das nicht den Titel ‚Von oben‘ trägt, und auch nicht ‚Von unten‘, sondern viel besser, nämlich: ‚Froschperspektive‘!

Ich will den Fröschen nicht zu nahe treten. Aber ich bin wirklich hocherfreut, dass in meiner Amtszeit noch eine Ausstellung zustande gekommen ist, die das Gegenteil von Froschperspektive zum Gegenstand hat. Und es ist ja auch wirklich wahr: Je näher man zu den Abläufen steht, desto zerklüfteter erscheinen Ursache und Wirkung; je entfernter sie sind, desto sinnhafter passen sie zusammen. Deshalb: Die Perspektiven des Vogels, des Weltraumfahrers, könnten uns gute Einsichten vermitteln, wenn wir sie doch erkennen und beherzigen würden – in unserer törichten Froschperspektive!“

Besonderes Schmankerl der Vernissage wie alle Jahre: die Besucher konnten ihre eigenen Lieblinge unter den ausgestellten schwarzgerahmten Fotografien auswählen und als ihren Favoriten-Tipp abgeben – mit der Chance, nach der Auswertung als Preisträger eben dieses Bild geschenkt zu bekommen. Ein weiterer Effekt: die zwölf meistgenannten Bilder werden zusammen mit einem Deckblatt den Kalender des Fotoclubs für das Jahr 2020 schmücken.

Ausgestellt sind auch wieder die Siegerbilder der vier vereinsinternen Wettbewerbe rund um die Themen „Regenimpressionen“, „Lichter der Stadt“, „Hafen“ sowie „Typisch Frau /typisch Mann“, zudem allesamt auf Plakaten zusammengefasst und ein schönes Beispiel für den Facettenreichtum, der sich in diesem Verein versammelt.

Die Ausstellung kann bis zum Sonntag, dem 10. Februar, während der Öffnungszeiten der Stadtbücherei besichtigt werden: täglich außer donnerstags nachmittags von 10 bis 12 Uhr und von 15 bis 19 Uhr sowie am ersten Sonntag im Monat von 10 bis 13 Uhr. Der Fotoclub, der seit 31 Jahren besteht und im Club der Hundefreunde in Waldacker (chw) seine lokale Heimat gefunden hat, freut sich aber über jeden Besucher der Ausstellung und hilft deshalb auch gerne an nicht-öffentlichen Tagen aus. Kontakt: www.fotoclub-roedermark.de; Telefon: Rainer Steen 06074 4875930, rsteen@content-company.net.

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