Radikale Kritik am Neoliberalismus

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23. Rödermärker Hochschultag mit Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck

Am 16. April fand in Zusammenarbeit mit der Stadt Rödermark der 23. Rödermärker Hochschultag der Nell-Breuning-Schule statt. Referent des Abends war Prof. Dr. Karl-Heinz Brodbeck. Prof. Brodbeck lehrte und forschte bis zum Jahr 2014 an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt sowie an der Hochschule für Politik in München. Er studierte sowohl Philosophie als auch Volkswirtschaftslehre und gehört zu den wichtigsten Kritikern der etablierten Wirtschaftswissenschaften weit über den deutschsprachigen Raum hinaus. Zu seinen Forschungsgebieten gehören neben der Ökonomie auch Fragen der Ethik, der Kreativität, des Geldes und des Buddhismus.

In seinem instruktiven – historisch wie systematisch angelegten – Vortrag unterzog Prof. Brodbeck die Theorie des Neoliberalismus einer gründlichen und sehr überzeugenden Kritik. Zunächst erinnerte er an die Ursprünge der Theorie in der klassischen Nationalökonomie Adam Smiths. Der schottische Aufklärer sah in Menschen Egoisten, die, wenn man sie nur auf einem Markt miteinander konkurrieren ließe, für eine Art gesellschaftliches Gleichgewicht sorgten. Eine Ethik des Marktes oder der Gesellschaft erübrige sich. Wenn es dann in der Folgezeit dennoch zu Wirtschaftskrisen kam, taten Smiths Schüler diese als reinigende Ereignisse ab, die den Markt wieder ausbalancierten. Die verheerende Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 ließ sich aber auf diese Weise nicht mehr erklären und veranlasste John Maynard Keynes, einen alternativen Ansatz zu formulieren. Keynes wies darauf hin, dass die klassische liberale Nationalökonomie die Funktion des Geldes völlig außer Acht gelassen hatte und machte geltend, dass der Staat die Nachfrage ankurbeln müsse. Der Neoliberalismus entwickelte sich dann in der kritischen Reaktion auf Keynes Nachfragetheorie, die im New Deal ihre Anwendung gefunden hatte (und natürlich gegen den Sozialismus). Neben F. A. von Hayek und Mises war es insbesondere der strikte Antikommunist, Journalist und Public Relations-Fachmann Walter Lippmann, der einen großen Einfluss ausübte. Insofern man im Übrigen den freien Markt über alles, auch über die Staatsform der Demokratie, stellte, waren einige Neoliberale dem Faschismus oder auch Nationalsozialismus durchaus zugeneigt.

In Deutschland konnte sich nach dem Krieg nun eine sozialstaatlich moderierte Form des Neoliberalismus, der sogenannte Ordoliberalismus, durchsetzen („Der Verkehr braucht Regeln“), der durch das Stabilitätsgesetz der damaligen Großen Koalition (mit fiskalischen und antizyklischen Maßnahmen) aber eine eindeutig keynesianische Wende nahm. Mit der Ölkrise und der durch sie verursachten Inflation erhielt dann aber wieder der Neoliberalismus Auftrieb, zuerst in den USA und England und schließlich auch in Deutschland. Der wichtigste Kopf dieser Bewegung, die sich selbst eher als monetaristisch und angebotsorientiert verstehen wollte, war Milton Friedman. Friedman macht für die inflationäre Krise in den Siebzigern die Eingriffe des Staates verantwortlich und lehnte Schulden rigoros ab. Der Berater Reagans propagierte, und dies sehr einflussreich, die Deregulierung der Wirtschaft, Steuererleichterungen für Unternehmen und Gutverdienende und rechtfertigte letzteres mit dem sogenannten (und fragwürdigen) „Trickle-Down-Effekt“.

An diesen Begriffen bzw. Maßnahmen setzte dann auch die ökonomische wie politische Kritik von Prof. Brodbeck an. Deregulierung, oder die Rückführung einer Regelung, so sein Argument, sei nichtsdestoweniger ein Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen. Jeder Eingriff störe den Verlauf. Der Neoliberalismus habe ein Wirtschaftsmodell entworfen, das auf einer Fiktion beruhe; in diesem Modell funktioniere die Wirtschaft wie eine Maschine und Menschen wie mechanische Geräte. Die Wirtschaft als stabiles oder sich selbst stabilisierendes System sei aber eine reine Fiktion. Das Münchener Ifo-Institut habe zum Beispiel und fälschlicherweise errechnet, dass der Mindestlohn aufgrund der Mehrkosten für die Unternehmer zu weniger Umsatz und dadurch zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit führen würde. Das Gegenteil sei aber der Fall. Die Unternehmer hätten die Produktivität erhöht, die Arbeitslosigkeit sei sogar weiter zurückgegangen. Neoliberale verstünden auch nicht die Wirkungsweise des Geldes (ein überraschender, aber zutreffender Vorwurf gegen Monetaristen). Wenn Banken wie die EZB die Geldmenge vermehrten, dann fließe das in Spekulationsgeschäfte, eine Geldblähe finde nur an den Aktienmärkten statt, allein Reiche und Superreiche profitierten.

Vor dem Hintergrund solcher Widersprüche und der Interessen, die sich damit verbinden, musste sich der Neoliberalismus, wie Brodbeck weiter ausführte, ideologisch und propagandistisch gut verkaufen. Der Vordenker Lippmann hatte sich schon offen für eine stereotypisierende Manipulation der öffentlichen Meinung ausgesprochen. Man müsse immer nur „Wir“ sagen und erhalte (durch den Kollektivsingular) dann auch den politischen Zuspruch, mit dem man das System aufrechtherhalten könne. Man konzentrierte und konzentriert sich nach wie vor vor allem auf den Begriff der (wirtschaftlichen) Freiheit, den man ideologisch gegen die als Zwang definierten staatlichen Maßnahmen (Eingriffe in die Wirtschaft) setzt. Der Markt sorge für Ordnung, Lohnansprüche müssten gesenkt werden, eine Lohnuntergrenze dürfe es nicht geben, Steuern seien kontraproduktiv. Dass das ideologische Projekt des Neoliberalismus erfolgreich war, zeigte sich schon daran, so Prof. Brodbeck, dass es an den deutschen Hochschulen kaum Professuren gebe, die ihm nicht anhingen.

Zum Ende seines engagierten Vortrages plädierte Prof. Brodbeck für eine politische Beschränkung der „Bereicherungsmaschine“ des Neoliberalismus. Steuern hätten eine sinnvolle sozi-ökonomische und politische Funktion zur Verbesserung der Infrastruktur und für soziale Projekte. Insbesondere müssten spekulative Kursgewinne (höher) und auch international besteuert werden.

In der anschließenden lebhaften Diskussion, an der sich sowohl Schüler als auch die in großer Zahl anwesenden Rödermärker Bürger beteiligten, wurden Fragen der Besteuerung, der Zinspolitik und der Zusammenhang der Globalisierung angesprochen. Das interessierte Publikum, das auch an einem schönen und warmen Frühlingstag gerne bereit war, über zwei Stunden in der Kulturhalle auszuharren, bedankte sich bei Prof. Brodbeck mit einem langanhaltenden und begeisterten Beifall für einen informativen und erhellenden Abend. Bürgermeister Kern verabschiedete den Referenten mit einem Buchpräsent.

Der Hochschultag folgte dem Grundanliegen der Nell-Breuning-Schule, fachliche Grenzen zu überwinden und nicht zuletzt auch den Schülern und den Bürgern unserer Stadt interessante Denkanstöße zu geben. Dies ist einmal mehr gelungen.

Prof. Dr. Philipp Wolf

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