Erinnerung an die ehemalige Urberacher Synagoge

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Gedenkveranstaltung und Enthüllung einer Plakette am 3. Oktober

Der 18. August 1882 war ein Festtag für Urberach: Die kleine jüdische Gemeinde feierte die Einweihung ihrer neuen Synagoge in der heutigen Bahnhofstraße 39. Zum ersten Mal stand den Orwischern jüdischen Glaubens damit ein eigenständiges Gebäude für den Gottesdienst zur Verfügung. Fast 90 Jahre lang mussten dafür Räume in einem Privathaus, nämlich in der Bachgasse 4, genutzt werden. Zur Feier des Tages war das ganze Dorf auf den Beinen, die Straßen waren mit Bannern des Großherzogtums Hessen und Fahnen des deutschen Kaiserreichs beflaggt, am Festzug beteiligte sich selbstverständlich auch die katholische Pfarrgemeinde St. Gallus. Doch nach wenigen Jahrzehnten wurde das friedliche Zusammenleben der Religionen durch den aufkommenden Nationalsozialismus beendet, die jüdische Gemeinde immer weiter dezimiert, ihre Mitglieder, deren Familien schon seit Generationen in Urberach lebten, schließlich gänzlich vertrieben, ermordet, ausgelöscht. Doch schon in den Jahren zuvor war das jüdische Leben in Urberach und Ober-Roden immer mehr zum Erliegen gekommen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit kann deshalb davon ausgegangen werden, dass der letzte Gottesdienst in der „neuen Synagoge Urberach“ im Jahre 1935 stattfand. Der Verkauf des Bethauses durch die verarmte jüdische Gemeinde an einen Privatmann erfolgte dann auch noch vor der sogenannten Reichskristallnacht im Jahre 1938.

Anlässlich des 135. Jahrestages der Einweihung wird die Stadt am Dienstag, dem 3. Oktober, an die Urberacher Synagoge erinnern. Um 11 Uhr beginnt am Dalles eine Gedenkveranstaltung. Die Teilnehmer machen sich von dort auf den Weg, vorbei am Gedenkort Bahnhofstraße 18 zur ehemaligen Synagoge. Vor dem Gebäude 39 werden Rabbiner Andrew Steiman aus Frankfurt und Bürgermeister Roland Kern eine Plakette mit der Inschrift „SYNAGOGE URBERACH 1882 – 1935“ enthüllen. Sie orientiert sich an den Stolpersteinen und wird so wie diese im Bürgersteig verlegt. Danach wird Rabbiner Steiman zu den Anwesenden sprechen. Mit der Erinnerung an die Synagoge knüpft die Stadt an den Gedenkort in der Bahnhofstraße an, der am 6. Mai 2010 seiner Bestimmung übergeben wurde, und an die im November 2013 bzw. Oktober 2015 verlegten Stolpersteine in Ober-Roden und Urberach. Bürgermeister Kern: „Möge uns die Erinnerung an unsere entrechteten, verletzten, vertriebenen und getöteten Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens Ansporn und Kraft geben, eine Zukunft in Menschlichkeit und Würde zu gestalten!“

Über die Einweihung der neuen Urberacher Synagoge schrieb die Zeitung „Der Israelit“ am 7. September 1882: „Am 18. und 19. August, feierte die hiesige israelitische Gemeinde die Einweihung ihrer neuen Synagoge. Die ungeheure Menschenmenge, die von allen Seiten aus der Umgegend herbeigeströmt war, das herrliche Wetter, das diese religiöse Weihe begünstigte und die Gäste, die bei der Feier mitwirkten, das Alles trug dazu bei, dem Ganzen einen glänzenden Verlauf zu geben…Gerührt verließ man das Gotteshaus und nun begann der wohlgeordnete Zug von der alten Synagoge durch die beflaggten Straßen unseres Dorfes nach dem neuen Gotteshause unter Begleitung der Musik. Der Zug bot einen prächtigen und zugleich ergreifenden Anblick, der dadurch, dass auch die christliche Gemeinde an demselben sich beteiligte, ein allgemeiner Festzug wurde.“

Vermutlich ab den 1770er Jahren hatten sich die Urberacher Juden darum bemüht, eine eigenständige Synagoge für ihre Gemeinde zu errichten. Das konnte aber nicht ohne eine offizielle Genehmigung geschehen. Sie musste bei dem damaligen Landesherrn von Urberach, dem inzwischen zum Fürsten aufgestiegenen früheren Grafen von Isenburg eingeholt werden. Dieses Bemühen blieb zunächst ohne Erfolg. Erst im Jahr 1795 wurde dem Gesuch stattgegeben.

Diese Synagoge befand sich vermutlich in dem um diese Zeit schon existierenden Haus in der Bachgasse 4, das mit dem Grundstück Bachgasse 2 verbunden war. Dieses Haus wurde später auch als „Storchennesthaus“ bekannt, über das der Heimatdichter Nikolaus Schwarzkopf (1884 -1962) eine kleine Erzählung geschrieben hat. Offiziell ist ab 1842 im Haus eines Abraham Strauß die Synagoge belegt, wobei es sich nur um dieses Haus gehandelt haben kann. Beim Abriss des Hauses in den späten 1960ern wurde festgestellt, dass sich im querteilenden Flur des Erdgeschosses ein Brunnen („lebendiges Wasser“) befand. In der Nordostecke des als Gebetsraums vermuteten Zimmers kam zudem eine Art abgemauerter Kellerraum zutage. Diese baulichen Tatsachen legen nahe, dass sich in der Urberacher Haussynagoge von Abraham Strauß eine Art Mikwe (Ritualbad) befand, es sich also um eine vollwertige Synagoge handelte.

Zwischen 1881 und 1882 wurde sodann die neue Synagoge in der damaligen Viehweidgasse (während der NS-Zeit Hindenburgstraße und heute Bahnhofstraße) 39 erbaut und am 18. August 1882 mit dem erwähnten großen Festakt durch den Rabbiner Dr. Marx vom seinerzeit zuständigen Bezirksrabbinat II aus Darmstadt eingeweiht.

Max Strauß als letzter Vorsteher der Gemeinde musste nach dem Beginn der NS-Zeit im Frühjahr 1933 sein Amt aufgeben. Bereits Anfang der 1930er Jahre fehlte es der Gemeinde an Geld, um die arg in die Jahre gekommene Synagoge zu sanieren. Am 21. Oktober 1938 musste Max Strauß die Synagoge in private Hand verkaufen, da die inzwischen geschrumpfte und wegen der Steuerrepression durch das NS-System verschuldete Gemeinde das renovierungsbedürftige Gotteshaus nicht mehr unterhalten konnte. Der Antrag zum Verkauf war am 2. Dezember 1937 gestellt und am 10. März 1938 vom Kreisamt in Dieburg genehmigt worden.

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